Roller, die Waldfee!

Derzeit kocht gerade wieder das Thema Faszien hoch. Allerdings nicht im positiven Sinne: Es mehren sich Hinweise auf mögliche Schädigungen durch übermäßiges Foam-Rolling. Wobei ich gleich zu Anfang klarstellen will: Die Betonung liegt auf "übermäßig". Der moderate Fitnesssportler und Blackroller kann also erst einmal durchatmen. Was jetzt genau "übermäßig" heißt, ist eine ganz andere Frage. 

 

Eigentlich bin ich etwas beleidigt, weil ich vor ein paar Wochen auf einer Tagung auf das Thema gestoßen wurde und mich dann gleich drangesetzt habe, um dazu was Interessantes zu schreiben. Und dann kamen der SPIEGEL und ARD mir natürlich zuvor. Schön doof. Aber gut, so läuft‘s manchmal. Hier also der Rest dessen, was bislang noch nicht in irgendwelchen Artikeln oder Beiträgen verarbeitet wurde. Insbesondere auf das Thema der Venenklappenschädigung möchte ich dabei eingehen.

 

Grundsätzlich finde ich es erst einmal erstaunlich, dass zu dem Thema bislang kaum wissenschaftliche Untersuchungen existieren. Klar, zum Foam-Rolling selber: Reichlich. Zu möglichen negativen Auswirkungen dagegen kaum. Genauer gesagt: Es gibt eine einzige Studie, die sich damit befasst, das allerdings auch eher am Rand und im Konjunktiv:

 

Freiwald, J., Baumgart, C., K., Matthias, H., Matthias W. (2016). Foam-Rolling in sport and therapy – Potential benefits and risks: Part 2 – Positive and adverse effects on athletic performance. DOI: 10.1016/j.orthtr.2016.07.002

 

Zwei Hauptpunkte sind den Autoren besonders wichtig: Blutfluss und Druckverhältnisse. Demnach komme es beim Foam-Rolling zu einer

 

"kurzzeitigen vollständigen Unterbrechung des Blutflusses und zum Teil sogar zu einer vollständigen Kompression des untersuchten Gefäßes, insbesondere der Venen."

("[…] temporary complete interruption of blood flow and in some cases even a complete compression of the examined vessel, particularly of veins.")

 

Außerdem wirken im Rahmen des Foam-Rolling offenbar extrem hohe Druckwerte im Körper, die bis zu 516 mmHg betragen können. Dazu die Studie:

 

"Diese Druckwerte sind etwa zehnmal höher als die höchste medizinische Kompressionskategorie 4 (extrakräftige Kompression, mindestens 6,5 kPa oder 49 mmHg) und übertrafen die in Okklusionsstudien verwendeten Druckbelastungen um das Doppelte."

("Thus, these measured pressure values are about 10-fold higher than the highest medical compression category 4 (i.e., extra strong compression, at least 6.5 kPa or 49 mm/Hg) and exceeded twice the pressure loads that are used in occlusion studies.")

 

Derart hohe Werte, so das Argument von Kritikern, könne (insbesondere bei einer Rollrichtung von proximal nach distal) ein "Umschlagen" der Venenklappen bedingen. Was der Theorie nach auf Dauer eine Klappeninsuffizienz nach sich ziehe und damit zu Krampfadern führe. Ich kenne sogar einen Referenten, der behauptet, es gebe eine Gefäßklinik, die sich durch die Behandlung von Blackroll-Opfern komplettsaniert habe. Dazu später mehr.

 

Was die ganze Geschichte etwas schwierig macht, ist die Tatsache, dass es eben kaum Daten gibt. Zumal verlässliche Daten. Wir bewegen uns also noch auf ziemlich dünnem Eis, was konkrete Aussagen zu diesen oder jenen Themenkomplexen betrifft. Ich kann mich erinnern, dass mir in den vergangenen Jahren mehrfach die Frage über den Weg lief, ob Foam-Rolling nicht eventuell negative Auswirkungen haben könne. Entsprechende Diskussionen ploppten in den einschlägigen Foren und Facebook-Gruppen immer mal wieder hoch, allerdings ohne je Ergebnisse zu liefern. Ab und an kam jemand mit damit um die Ecke, dass sein Schwager einen Arbeitskollegen kenne, dessen Trainer behauptet habe, es gebe da Hinweise auf entzündliche Prozesse im Gewebe oder sogar manifeste Venenschädigungen. Nachfragen aber verliefen immer im Sand, greifbare Fakten waren schlicht nicht aufzutreiben.

 

Expertenmeinung

 

Also buddeln wir doch mal weiter und schauen, wo wir rauskommen. Wie gesagt kam mir der immer wieder auftauchende Punkt der Venenklappenschädigung besonders problematisch vor. Also dachte ich mir: Fragste doch mal diejenigen, die davon mehr verstehen. Sprich: Gefäß- und Venenexperten.

 

Eine erste Mailwelle allerdings fördert kaum verwertbare Aussagen zutage. Tenor der angeschriebenen Ärzte und Wissenschaftler: Nein, von derartigen Zusammenhängen wisse man nichts, habe auch nichts gehört, geschweige denn sich überhaupt mit der Sache beschäftigt, auf jeden Fall aber noch keinen einzigen Patienten diesbezüglich in Behandlung gehabt. Auch das American Board of Venous and Lymphatic Medicine (ABVLM) vermeldet ebenfalls, man kenne kein Studien, Debatten oder Hinweise zur Thematik ("[…] not aware of any papers, discussion, or emergence of issues regarding this"). Einige Institutionen wollen sich öffentlich nicht äußern - eben weil die Datenlage mehr als mau ist und man daher keine seriösen Aussagen tätigen könne. Nachvollziehbar. Das European Venous Forum (EVF) und die National Strength and Conditioning Association (NSCA) antworten dagegen überhaupt nicht.

 

Ein erster interessanter Hinweis kommt von Karsten Hartmann, Phlebologe am Venenzentrum Freiburg. Er hält die Angst vor einem Umschlagen der Venenklappen durch Foam-Rolling für unbegründet. Denn:


"Venenklappen können per se nicht umklappen, höchstens nicht mehr richtig schließen."

 

Das bestätigt auch Erika Mendoza, Ärztin und Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie. Zwar können ein massives Trauma eine Klappen durchaus beschädigen. "Ich denke aber, das entspricht nicht der sachgemäßen Anwendung einer Faszienrolle." Ähnlich sieht es Hugo Partsch, emeritierter Professor der Universität Wien und einer der weltweit führenden Kapazitäten auf dem Gebiet der Kompressionstherapie: "Umschlagen von Klappen bei normalen Venen ist unmöglich." Lediglich bei erkrankten Venen könne es zu einem "kurzfristigen Reflux" kommen.

 

Sagt auch Stefanie Reich-Schupke, Professorin am Venenzentrum der Gefäßchirurgischen Kliniken der Ruhr-Universität Bochum: "Im krankhaften Zustand, das heißt, wenn die Klappen degenerieren oder der Gefäßdurchmesser zunimmt, kann es vorkommen, dass die Klappensegel quasi in alle Richtungen bewegt werden." Erscheint logisch. Daher ist das Foam-Rolling bei Krampfadern kontraindiziert.

 

Gesetzt also, jemand besitzt gesunde Venen, scheint von dieser Seite keine Gefahr zu drohen. Auch die hohen Druckwerte hält zumindest Partsch für wenig bedenklich, was er auf meine Aussage zurückführt, diese würden beim Foam-Rolling immer nur für kurze Zeit und punktuell ausgeübt. Reich-Schupke ist in dieser Hinsicht etwas kritischer:

 

"Ich persönlich denke, dass Druckwerte > 500mmHg tatsächlich ein Problem darstellen können, nicht nur für die Venen sondern vor allem auch für die Arterien. In dem Moment wo wir Druckwerte nutzen, die über dem physiologischen Niveau liegen, kann echter Schaden eintreten – durch Gefäßverschlüsse oder Traumen der Gefäßwand."

 

Langzeiterfahrung

 

Ein weiterer Punkt, der im Zusammenhang mit Foam-Rolling vorgebracht wird: Man könne gar nicht sagen, was in zehn oder 20 Jahren sei. Denn das Foam-Rolling sei noch vergleichsweise jung, daher habe man bisher gar keine ausreichende Erfahrung sammeln können, um eventuelle Langzeitschäden beurteilen zu können. Aber stimmt das überhaupt? Mir fällt auf, dass ich keine Ahnung habe, wie und wo das Foam-Rolling seinen Ursprung hat. Die Dinger waren irgendwann einfach da, im Zuge des Faszien-Hypes vom Himmel gefallen. Tatsächlich ist es gar nicht so einfach, die exakte Historie nachzuverfolgen, weil die Umstände im schweißgetränkten Dunst der Sportgeschichte verschwimmen.


Laut einem Artikel aus dem Independent war Moshé Feldenkrais einer der ersten, die das Potential eines Foam Rollers erkannten und nutzten. Mehrere Websites und Blogs jedenfalls tendieren gleichermaßen zu Feldenkrais oder aber seinem Schüler Sean Gallagher (haben aber vielleicht auch nur alle voneinander abgeschrieben). Die deutsche Marke "Blackroll" schließlich existiert seit 2007, mithin auch schon mehr als zehn Jahre, und Wikipedia hat zum Thema lediglich einen knappen Vierzeiler zu bieten, aber keinerlei geschichtlichen Abriss. Wann also wer tatsächlich als Erster auf die Idee kam: "Hey, tut schweinemäßig weh, scheint super zu sein!" – man weiß es nicht.

 

So richtig ins, ähem, Rollen kam die Sache dann aber zur Jahrtausendwende und in Form von Micheal Clarks Buch "Integrated Training for the New Millennium" (das mittlerweile vergriffen ist, gebraucht und inkl. Versand aber immer noch rund 40 Euro kostet und ich mir daher nicht extra besorgt habe). Und nein: Das ist kein Schreibfehler! Der Mann heißt tatsächlich Micheal – nicht Michael. Das fiel mir allerdings auch erst nach ein paar Korrekturen durch Google auf. Die mich darauf brachten, nochmal etwas genauer hinzuschauen. Micheal A. Clark ist nämlich nicht irgendein dahergelaufener Discopumper, sondern derzeitiger Chief Officer der National Academy of Sports Medicine (NSAM). Da er nicht unerheblich zur Verbreitung des Foam-Rolling beigetragen hat, wäre er vielleicht ein guter Ansprechpartner. Eine Anfrage blieb bislang leider unbeantwortet.

Status quo

 

Schauen wir uns also noch einmal den Status quo an: Rein auf Basis der genannten Zeiträume muss man konstatieren, dass Foam-Rolling nun wirklich kein absolutes "Neuland" (Angela Merkel) mehr ist. Wenn wir Feldenkrais mal außen vor lassen und das Buch von Clark und damit die Jahrtausendwende als den eigentlichen Urknall zugrunde legen, können wir auf mittlerweile 18 Jahre weltweite Roll-Erfahrung zurückblicken. Da darf man schon mal von einer Art Langzeitstudie sprechen. In deren Verlauf nach jetziger Lesart und unter Vorbehalt keinerlei eindeutig auf die Rollerei zurückzuführenden Probleme dokumentiert sind. Zumindest – und das kann ich nicht oft genug wiederholen – im Rahmen einer vernünftigen Anwendung von, sagen wir, zwei- oder dreimal die Woche für ein paar Minuten. Wenn ich allerdings jeden Tag stundenlang über meine Venen rubbele, wird das mit Sicherheit Auswirkungen haben.

 

Aber verflixt nochmal, es muss doch innerhalb der vergangenen zwei Dekaden irgendeine Untersuchung zu finden sein, die Hinweisen auf möglichen Venenschädigungen nachgegangen ist! Also mal beim anfangs erwähnten Referenten nachgefragt, ob er mir sagen könne, welche Klinik er gemeint habe. Denn das wäre ja mal eine interessante Sache. Er meldet sich erfreulicherweise prompt zurück, seine Antwort indes fällt ernüchternd aus: Ein spärlicher Einzeiler des Inhalts, er dürfe den Namen der Klinik leider nicht nennen, sorry. Warum und wieso bleibt unklar. Schade.

 

Fazit

 

Was also bleibt? Ich gebe gerne zu, dass dieser Text nicht unbedingt wissenschaftlichen Standards genügt, und natürlich wissen wir noch längst nicht alles. Aber natürlich müssen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Venenschädigungen durch Foam-Rolling tatsächlich möglich sein könnten – insbesondere bei bereits bestehenden Degenerationsprozessen und/oder anderen krankhaften Veränderungen. Wir haben es aufgrund mangelhafter Datenlage bloß noch nicht auf dem Schirm.

Nur mal angenommen, Foam-Rolling sei tatsächlich schädlich für die Venen und jemand bekommt auf Dauer ein Klappenproblem. Würde er beim Arzt überhaupt erwähnen, dass er eine Blackroll benutzt? Vermutlich käme das Thema gar nicht zur Sprache, weil er keine Verbindung zwischen seinem Problem und dem Gerolle sieht (oder, im Gegenteil, das Foam-Rolling als durch und durch gesund betrachtet). Und der Arzt würde vermutlich nicht weiter nachfragen, weil die bisherige Studienlage dazu keinerlei Anlass bietet. Man kann also nicht von vornherein ausschließen, dass wir auf diesem Auge blind durch die Gegend rennen.

 

Um es abschließend noch einmal klarzustellen: Es ging mir nicht darum, mögliche positive Effekte des Foam-Rolling in Bezug auf Leistungssteigerung, Prävention oder Rehabilitation nachzuweisen. Darüber zerschlagen sich ganze Armeen aus Wissenschaftlern, Trainern und Therapeuten auf internationaler Ebene gerade die Köpfe. Im Mittelpunkt stand und steht hier die Frage, ob das Foam-Rolling mittel- oder langfristig negative Folgeerscheinungen – insbesondere bezüglich des Gefäßsystems – nach sich zieht. Auf Basis der aktuell verfügbaren Erkenntnisse (Aussagen von Experten), kann man diese Frage aufgrund mangelnder Literatur leider nicht abschließend beantworten. Ob also diejenigen, die heute freudig über ihre Blackroll schubbern in 20 Jahren Probleme bekommen werden, kann derzeit noch niemand sagen.

Soweit ich weiß, wird allerdings 2019 eine weitere, tiefergehende Studie zu dem Thema erscheinen. Man darf gespannt sein.


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Kommentare: 1
  • #1

    Angie Kauss (Samstag, 05 Januar 2019 18:12)

    Vielen Dank für diesen Bericht. Bin Fitnesstrainerin und rolle seit es BRoll in Deutschland gibt. Warte auch immer noch auf aktuelle Studien und Daten zu diesem Thema. Meine letzten Faszien-Fortbildungen waren zwar sehr informativ aber zum Thema umschlagen von Venenklappen doch sehr spärlich. Bin selbst gespannt,wie es in diesem Bereich weiter geht.LG A.K.