"The amount of energy needed to refute bullshit
is an order of magnitude bigger than to produce it."
(Alberto Brandolini)
In diesem Text geht es um Listen. Und Zahlen. Um fehlende Vergleiche, fehlendes Verständnis, falsche Annahmen und Behauptungen und die Folgen all dessen. Diese Listen zeigen auf, was passiert, wenn man nur sporadisch Einblick in eine Thematik erwirbt, logische Fehler begeht und kognitiven Verzerrungen unterliegt. Im Kontext der Pandemie sind sie „nur“ Anzeichen einer zunehmenden Spaltung zwischen Impfbefürwortern und -gegnern, im globalen Kontext das Symptom einer um sich greifenden Wissenschaftsfeindlichkeit, die aus irgendeinem Grund auch noch mit Stolz präsentiert wird.
Ich kann nicht sagen, wann mir die Listen das erste Mal begegnet sind, aber es war – natürlich! – auf Social Media. Insgesamt sind mir in den vergangenen Woche und Monaten bestimmt ein halbes Dutzend davon über den Weg gelaufen, die meisten auf Deutsch, weitere gibt es in allen mögliche anderen Sprachen. Wobei sich die Inhalte zu einem Großteil überschneiden.
Was ist auf diesen Listen zu finden? Namen, bekannte und unbekannte. Von Sportlern oder Menschen, die Sport treiben (was meiner Ansicht nach ein Unterschied ist) oder auch nur betrieben haben. Manchmal auch Menschen, die mit Sport überhaupt nichts zu tun haben. Den Listen ist das egal, ihnen geht es um Fallzahlen, um die reine Masse. Darauf wollen sie hinweisen und anklagen. Denn all diesen Menschen auf den Listen ist angeblich gemein, dass sie nach ihrer Corona-Impfung gesundheitliche Beschwerden und zum Teil mysteriöse Erkrankungen entwickelt hätten. Oder einfach verstorben sind. Nicht aufgrund unglücklicher Umstände, sondern direkt und zwingend an der Impfung. Das ist die glasklare Implikation.
Über die Autoren dieser Listen lässt sich kaum etwas herausfinden. Wie häufig bei nicht bewiesenen oder beweisbaren Behauptungen, die sich sauer-gallig durch das Netz fressen. Manche rechtfertigen ihre Anonymität mit Angst und dem Gefühl einer Bedrohung von außen, durch Medien und Regierung. Ob das wirklich so ist, kann man schwer einschätzen. Gleichzeitig schüren sie wiederum selber Ängste und Unsicherheit bei anderen, die diese Listen lesen und deren Inhalte nicht einzuschätzen wissen. Daher dachte ich mir, es sei an der Zeit, sich mal etwas eingehender mit der Problematik zu beschäftigen. Genau genommen gibt es zwei Problematiken: Zum einen den Inhalt der Listen – also die Personen, die nach Erhalt einer Corona-Impfung erkrankt oder verstorben sind. Es lohnt durchaus, sich diese Fälle genauer anzuschauen. Zum anderen die Listen selber, ihr Aufbau und Umgang mit Daten. Beides möchte ich im Folgenden näher beleuchten.
In diesem Text, das möchte ich gleich voraus schicken, wird es nicht um den Wirkmechanismus einer mRNA-Impfung gehen, nicht um Spike-Proteine, Big Pharma oder Sinn und Unsinn von Boostern.
Genauso wenig möchte ich mögliche Nebenwirkungen einer Impfung klein- oder wegreden. Natürlich gibt es die. Hat es auch immer gegeben, bei Polio, Grippe, Diphterie, Pocken usw. Jede medizinische
Intervention, die eine Wirkung hat, geht auch immer mit dem Risiko einer Nebenwirkung einher. Aber das ist nicht mein Fachgebiet, sondern Ärzten und Pharmazeuten vorbehalten. Was sich dagegen
relativ einfach bewerkstelligen lässt: Zahlen vergleichen, Daten recherchieren. Darauf werde ich mich beschränken. Auch mir unterlaufen dabei natürlich Fehler. Wenn also etwas richtig zu stellen
ist, wäre ich über Feedback entzückt. Darüber hinaus habe ich den Beitrag in drei Abschnitte unterteilt, weil es sonst zu viel Text für einen einzelnen Blog-Artikel geworden wäre. Teil zwei
und drei folgen in den kommenden Tagen.
Um welche Listen geht es?
Wie erwähnt gibt es reihenweise Listen. Ich werde ich mich hier auf lediglich zwei Quellen beschränken. Diese habe ich vor allem deshalb ausgewählt, weil sie die umfangreichsten sind und/oder selber wissenschaftliches Vorgehen für sich in Anspruch nehmen:
1. Eine Liste auf einer Website namens GoodSciencing.com
2. Die Liste und Analyse auf einer Website namens The Exposé
Warum sind diese Listen ein Problem?
Listen sind toll. Sie sind übersichtlich und vermitteln den Eindruck von Ordnung und Systematik. Sie veranschaulichen Verhältnismäßigkeiten und ermöglichen Vergleiche. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Daten sauber erhoben wurden. Und damit sind wir gleich beim Grundproblem. Aussage ist ja, dass Sportler nach der Impfung vermehrt gesundheitliche Probleme bis hin zum Tod erleiden. Folgende Punkte aber verwässern diese Aussage und machen die Listen damit weitgehend nutzlos:
- Es ist nicht immer – wenn überhaupt – nachweisbar, dass die betroffenen Personen tatsächlich geimpft waren. Zum Teil wird es im zugehörigen Artikel erwähnt, aber eben nicht bei allen.
- Der Begriff „Sportler“ wird in keiner Weise definiert. Entsprechend finden sich auf den Listen Profis wie z.B. Kingsley Coman neben reinen Hobbysportlern, von denen man nicht weiß, wie lange sie überhaupt schon Sport treiben, wie oft oder wie intensiv.
- Daran anknüpfend: Häufig werden Trainer, Schiedsrichter und sogar Zuschauer mitgezählt.
- Es gibt eine riesige Altersspanne von < 10 bis > 80. Dass die Häufigkeit gerade von (natürlichen) Herz-Kreislaufproblemen im Alter stark ansteigt, sollte bekannt sein.
- Genauso gibt es eine riesige Spanne an Krankheitsbildern: Von Brustschmerzen über Atemnot, Thrombose und Herzinfarkt bis hin zum Tod durch Erschießen oder Autounfall (kein Scherz!).
- Es wird nicht unterschieden, ob die Erkrankung/der Tod während des Sports aufgetreten ist oder im Rahmen einer nicht-sportlichen Aktivität.
- In Einzelfällen ist nicht nacheisbar, dass die beschriebene Person jemals existiert hat.
Wir stehen also vor einem sehr heterogenen Datenhaufen – um nicht zu sagen: einem totalen Chaos. Es existieren keinerlei Ein- oder Ausschlusskriterien, keinerlei Definitionen, keinerlei räumlich-zeitliche Begrenzungen. Hinzu kommt, dass sich sämtliche Listen der Medien als Datenpool bedienen. Sprich: Es werden Fälle präsentiert, über die mindestens ein Medium berichtet hat. Diese Vorgehensweise ist allerdings problematisch, denn:
- Es werden nicht alle Vorfälle von den Medien aufgegriffen oder landen letztlich als Meldung im Blatt ─ wir erhalten also nie das vollständige Bild.
- Es wird unterschiedlich häufig berichtet, je nachdem, ob das Thema gerade „heiß“ ist, d.h. wir müssen grundsätzlich davon ausgehen, dass analog zur Wissenschaft ein medialer Selection / Publishing Bias vorliegt.
- Es hängt es ohne klare Ein- und Ausschlusskriterien stark von Suchstrategie, -kompetenz und -dauer ab, wie viele Fälle jemand ermitteln kann.
- Es hängt es ohne klare Ein- oder Ausschlusskriterien rein von der subjektiven Bewertung des Suchenden ab, ob ein Fall überhaupt auf seiner Liste landet oder nicht.
- Es kann sein, dass im betreffenden Medium falsch berichtet wurde, ein Folgeartikel falsch eingeordnet oder überhaupt nicht beachtet wird.
Für die Listen bedeutet das: Es werden Daten aus einem vollkommen unstrukturierten Haufen zusammen gesucht. Und zwar auf eine Art und Weise, die ihrerseits selber unstrukturiert ist. Beides zusammen muss zwangsläufig zu einem verzerrten und verfälschenden Bild der Lage führen. Mein Anliegen ist es also, wenigstens etwas Systematik in die ganze Sache zu bringen. Ob mir das gelingt, werden wir sehen.
Wie kann ich mich im Datenchaos orientieren?
Wir haben es mit Erkrankungs- und Todesfällen zu tun. Um einzuordnen, ob hier eine bestimmte Fallzahl niedrig oder hoch ist, muss ich die entsprechenden Inzidenzen kennen – ein Begriff, mit dem
wir alle seit knapp zwei Jahren gut vertraut sind. Inzidenz, um das noch einmal zu klären, beschreibt die Anzahl an Neuerkrankungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes.
Wie oben erwähnt, findet sich auf den Listen ein extrem breites Spektrum an Erkrankungen. Das macht es relativ aufwändig, alle Inzidenzen herauszusuchen und zu bestimmen. Insbesondere, weil auch
nicht immer klar ist, ob die genannte Erkrankungen oder Todesursache tatsächlich korrekt gelistet ist. Gleichzeitig sind zumindest einige Listen so zu verstehen, dass es ihnen vorrangig oder
ausschließlich um das Risiko einer Herzmuskelentzündung (Myokarditis) geht. Eine reale Komplikation nach der Impfung, die in schweren Fällen durchaus zum Tod führen kann.
SrSCA und SrSCD
Um also mir die Arbeit zu vereinfachen und gleichzeitig im Sinne der Kritiker zu agieren (indem ich die Fallzahlen anhebe), habe ich pauschal alle Fälle als sportbezogenes Herzversagen
(Sports-related Sudden Cardiac Arrest = SrSCA) bzw. plötzlichen Herztod (Sports-related Sudden Cardiac Death = SrSCD) deklariert. Auch da, wo keine explizite Todesursache
vermerkt ist. (Ausnahmen gibt es für offensichtliche Fälle.)
Bei SrSCA und SrSCD stehen wir nun vor dem Problem, dass es sehr unterschiedliche Inzidenzen gibt. Das liegt zum einen daran, dass vielleicht nicht alle Fälle als solche erkannt und/oder gemeldet
und damit auch nicht erfasst werden. Mal ganz davon abgesehen, dass erst seit Kurzem und nur in einige Ländern überhaupt entsprechende Datenbanken existieren.
Weitere Faktoren
Darüber hinaus sind die Inzidenzen sehr stark gestreut, je nachdem, welche Personengruppe wir betrachten. Männer sind häufiger betroffen als Frauen, Afroamerikaner häufiger als Kaukasier, Personen über 40 deutlich häufiger als jüngere und US-Amerikaner offenbar häufiger als Europäer. Selbst innerhalb einer Alters- und Geschlechtsgruppe gibt es Unterschiede, je nach Sportart: Basketball ist bei Kindern von 11-15 demnach am gefährlichsten in Bezug auf einen SrSCD, Fußball (soccer) auf Platz zwei, dahinter Baseball und American Football vor Laufen, Schwimmen oder Wrestling. Die eine Inzidenz ist also schwierig zu berechnen. Es geht, aber wir haben lediglich Anhaltswerte. Soweit nicht anders angegeben habe ich mich daran orientiert. Darüber hinaus habe ich mir zwei weitere Einschränkungen auferlegt, um die Arbeit übersichtlicher und weniger aufwändig zu gestalten:
a) Ich habe lediglich die Altersspanne bis 60 Jahre betrachtet. Hier nimmt die
Wahrscheinlichkeit einer kardiovaskulären Symptomatik stark zu, was die
Ergebnisse verzerren kann.
b) Ich habe mich daher auf zwei Länder konzentriert: Deutschland und die
USA. Letztere, weil diese auf den Listen am häufigsten vertreten sind und
wir damit einen großen Datenpool haben. Das erleichtert die Beurteilung.
Die Gründe für Deutschland dürften klar sein: Aus deutscher Sicht
interessiert natürlich am ehesten, was in Deutschland passiert.
Nachdem wir damit die Grundlagen geklärt und das Fundament gelegt haben, geht es in den folgenden beiden Teilen an die eigentliche Analyse. Ich bitte zu beachten, dass dieser Text nicht
mit einer einer wissenschaftliche Abhandlung vergleichbar ist, sondern lediglich meine Ansichten widerspiegelt. Wie immer freue ich mich über Kommentare, möchte aber anmerken, dass die
derzeitige Konfiguration der Jimdo-Software es mir nicht erlaubt, direkt darauf zu antworten. Also nicht böse sein, wenn Ihr keine Antwort erhaltet oder am besten Eure Mailadresse angeben.
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